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Karfreitagspredigt 10. April 2020 Stettfurt und Lommis

Pfarrer Marco Borghi

Rückblick der Verbannten auf ihr Heimweh nach Zion: Psalm 137

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1 An den Strömen von Babel, da saßen wir und wir weinten, wenn wir Zions gedachten. 2 An die Weiden in seiner Mitte hängten wir unsere Leiern. 3 Denn dort verlangten, die uns gefangen hielten, Lieder von uns, unsere Peiniger forderten Jubel: Singt für uns eines der Lieder Zions! 4 Wie hätten wir singen können die Lieder des HERRN, fern, auf fremder Erde? 5 Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll meine rechte Hand mich vergessen. [1] 6 Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht mehr gedenke, wenn ich Jerusalem nicht mehr erhebe zum Gipfel meiner Freude. 7 Gedenke, HERR, den Söhnen Edoms den Tag Jerusalems, die sagten: Reißt nieder, bis auf den Grund reißt es nieder! 8 Tochter Babel, du der Verwüstung Geweihte: Selig, wer dir vergilt deine Taten, die du uns getan hast! 9 Selig, wer ergreift und zerschlägt am Felsen deine Nachkommen!

Karfreitagspredigt 2020 1

Euphrat

Liebe Gemeinde

Der Psalm beschreibt eine schwierige Zeit in der Geschichte Israels: Die Gola, die verschleppte Gruppe an Judäern, die in Babylon im Exil für eine lange Zeit leben mussten, sind zu tiefst traurig. Sie haben anscheinend keine persönlichen Interessen in dieser Trauer. Sie sind einfach traurig, dass die grosse Hoffnung auf Zion, den Berg auf dem Jahwe lebt, von den Babyloniern durch die Eroberung von Jerusalem zerstört worden ist.

Es scheint als ob die Babylonier die Judäer als Kriegstrophäe vorzeigen wollten. Sie sollten so tun als lebten sie immer noch in Jerusalem und Zionslieder singen.

Sie waren aber nicht bereit, in ihrer Trauer ihren Gott zu verraten.

Die Welt hatte ihren bisherigen Kompass des Glaubens zerstört, indem Sie den Temple, das Symbol der Gottesgegenwart, zerstörten. Die Judäer wussten nicht mehr weiter. In dieser Trauer kam auch noch eine unglaubliche Wut empor, die sich am Schluss des Textes zeigt, in einem harten, grausamen Wunsch: Die Kinder der Töchter Babels sollen an einem Felsen zerschmettert werden.

Wenn wir die Geschichte des Exils anschauen, so ist der grosse Hass nachvollziehbar:

Den Exilanten wurde der Boden unter den Füssen weggerissen. Von Gott verlassen, von ihren Angehörigen getrennt, waren sie den Babyloniern hilflos ausgeliefert.

Diese Situation hat einen unglaublichen Prozess der Neubesinnung ausgelöst. Es stellte sich die Frage: «Was von unserem bisherigen Glauben ist noch brauchbar in unserer Exilssituation und was können wir getrost vergessen?»

Unser Psalm zeigt den Augenblick gleich nach der Verschleppung an die Ufer von Babylon. Die Wohnung Jahwes, der Tempel auf dem Zion, ist zerstört. Marduk, der Hauptgott Babylons hat Jahwe besiegt.

Karfreitagspredigt 2020 2

Garten Gethsemane

Eine ganz ähnliche Situation haben wir im Neuen Testament, als Jesus gekreuzigt worden war.

Markus 15, 33+34

„Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloi, Eloi, lema sabachtani!, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“

Mit diesem Ausruf und dem Tod Jesu war alles, woran die Jüngerinnen und Jünger bisher geglaubt hatten, zerstört. Die Jünger begannen zu fliehen, weil sie Angst vor der Verfolgung der Römer hatten. Petrus behauptete drei Mal, mit diesem gekreuzigten Jesus nichts zu tun zu haben. Es scheint, dass die Welt über den einfachen Mann aus Nazareth gesiegt hat.

Auch unsere Zeit scheint mit dem Corona-Virus eine Zäsur in die Gegenwart einzubringen. Sie mag nicht die Tragweite der beiden vorherigen Zäsuren des Alten und Neues Testamentes haben, aber auch wir heute im Jahr 2020 werden gezwungen, uns neu zu orientieren. Was bisher galt, gilt nicht mehr. Menschen und

Arbeitsstellen sind in Gefahr. Auch wir werden gezwungen uns neu zu orientieren - oder ist es möglich nachher so zu tun, als ob gar nichts geschehen wäre? Unsere Zeit hat viele Menschen rund um den Globus zu beklagen, die an dem Corona-Virus gestorben sind und ein Ende dieser Seuche mit weltweitem Ausmass ist nicht in Sicht.

Zwischen Karfreitag und Ostern vergehen im Kirchenkalender nur drei Tage, während im Exil in Babylon etwa 50 bis 60 Jahre vergingen bis diese schwere Zeit zu Ende war. Die Auferstehung Jesu und die Rückkehr aus dem babylonischen Exil sind Hoffnungsgeschichten, die uns bis heute Mut und Kraft geben und unseren Glauben stärken. Niemand weiss im Moment, wie lange unser Exil in unseren vier Wänden dauern wird. Fragen stehen im Raum. Etwa:

Ist der freie Markt an sein Ende gekommen? Und wo stehen wir? Leben wir von Angst bedrückt, gehören wir zu den Risikogruppen?

Wir hoffen und warten auf die Verwandlung. Wie damals, als es nach Trauer, Flucht und Verzweiflung Ostern wurde.

Wo stehen wir?

Wollen auch wir vor Angst irgendwohin fliehen? Trauern wir um einen Angehörigen? Rufen wir nach einem Schuldigen, den Chinesen, den Italienern, dem Bundesrat. Halten wir die Spannungen in unserem eigenen Haushalt aus?

Können wir auf einen Gott vertrauen, der uns Menschen berührt bzw. berühren wird, so wie er die Judäer während des Exils und die Jüngerinnen und Jünger nach der Auferstehung berührt hat?

Gott wird uns berühren und wir werden neue Antworten auf neue Fragen finden. Vieles wird sich verändern.

Die Zeit zwischen Karfreitag und Ostern ist die Zeit, die durch die Berührung Gottes eine neue Lebenskraft in uns wecken wird.

Ob es drei Tage sind oder länger, ist schwierig zu sagen. Aber das, was gewesen ist, wird uns in dieser Zeit in neuer Gestalt begegnen und uns verändern.

Es kann sein, dass wir die Berührung gar nicht spüren und erst im Nachhinein sagen können, dass uns etwas verändert hat. Wir können auch nicht sagen in welche Richtung wir verändert werden.

Am Ende des Exils ist Jahwe zum weltumspannenden einzigen Gott für alle Völker geworden. Mit der Auferstehung hat sich Jesus als der Christus Gottes erwiesen und Gottes Liebe für alle Menschen zugänglich gemacht. Werden wir nach Corona eine Welle der Solidarität unter den Menschen erleben oder wird es eine neue Welle des Nationalismus geben?

Berührt uns Gott wird es wohl eher das Erste sein. Möge Gott uns bewahren und behüten.

Bewahre uns Gott

EG Lied 171

Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns auf unsern Wegen.

Sei Quelle und Brot in Wüstennot, sei um uns mit deinem Segen,

Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns in allem Leiden.

Voll Wärme und Licht im Angesicht, sei nahe in schweren Zeiten,

Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns vor allem Bösen.

Sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft, sei in uns, uns zu erlösen,

Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns durch deinen Segen.

Dein Heiliger Geist, der Leben verheißt, sei um uns auf unsern Wegen.

Bhüet Euch Gott i dere schwierige Ziit.

Pfr. Marco Borghi